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Mental Monday

Mental Monday: Realitätsverlust als neue Modeerscheinung?

Ich hatte eigentlich einen anderen Beitrag geplant, aber als ich die Reaktion des steiermärkischen SPÖ-Vorsitzenden, Michael Schickhofer, auf das Ergebnis der Landtagswahlen vernahm, musste ich einfach umschwenken. Da wollte er uns doch glatt den Verlust des 1. Platzes und von 6,4% der Stimmen als gutes Ergebnis im Vergleich mit den Nationalsratswahlen verkaufen und dass dies dank einer „Aufholjagd“ in den letzten drei Wochen „geglückt“ (???) sei.

Realitätsverlust als neue Modeerscheinung…

Die Realität aus den Augen zu verlieren, scheint in Mode zu kommen, wenn man sich so in der Welt umsieht. Und zwar nicht nur an der Spitze politischer Parteien und Unternehmen, sondern ganz generell bei Menschen, die sich „vermarkten“ müssen – oder zumindest glauben, es tun zu müssen. Wohl eine Folge der Social Media Welt, in der es heißt, zu glänzen, in der du dir keine Schwäche erlauben darfst, in der es (scheinbar) gilt, entweder Siege zu proklamieren oder in der Nichtigkeit zu verschwinden…

Wäre heute Freitag und würden wir uns deshalb dem Thema Kommunikation widmen, würde ich über „Euphemismus“ – Schönfärberei – schreiben. So aber geht es um unseren Geist und darum, worauf wir ihn ausrichten. Und es ist ein großer Unterschied, ob ich die Realität mit all ihren Facetten sehen und beschreiben kann und trotzdem immer neue Möglichkeiten sehe oder ob ich die Realität meinem Wunsch nach Anerkennung und Siegerpose zurechtbiege.

…oder als Krankheit?

In dem Augen-öffnenden Werk „Macht: Wie Erfolge uns verändern“ gibt Ian Roberston Einblick in eine Vielzahl von Studien, die deutlich machen, wie schädlich die Hetzjagd nach Anerkennung und die Angst vor Verlust und Niederlage für unser Bewusstsein sind. Was sich als machtvolle Gabe darstellt – nämlich die Möglichkeit, unser Bewusstsein in eine für uns positive Richtung zu lenken – kann, wenn die Fähigkeit zur Differenzierung abhanden kommt, ebenso desaströse Auswirkungen haben. Und zwar nicht so sehr für die betroffene Person selbst, sondern vor allem für ihre Umwelt (im schlimmsten Falle ganze Völker).

Wir allein haben es in der Hand, diese essentielle Fähigkeit zur Differenzierung zu schulen, lebendig zu halten und immer wieder herauszufordern. Es bedeutet, uns ganz bewusst und immer wieder mit Menschen ganz anderer und uns sogar gegensätzlicher Einstellung und Gesinnung auseinanderzusetzen und uns im Verstehen ihrer Zugänge zu bemühen. Und es bedeutet sagen zu können:

Ich habe verloren.

Irgendwo auf diesem Weg habe ich wohl etwas übersehen, bin in die falsche Richtung abgebogen. Diese Niederlage hat mir das endlich klar gemacht. Was ich jetzt tun kann, ist nichts anderes, als genauer hinzusehen, aufmerksamer hinzufühlen, präziser hinzuhören, um hoffentlich irgendwann wieder besser entscheiden und handeln zu können.“